Pelzmanteltage. 
Mittwoch, Januar 26, 2005, 19:26 - MUSIK
Die gefühlte Temperatur hat der gelebten Eitelkeit noch nie etwas anhaben können - jedes Girlie im bauchnabelfreien Top wird einem das bei den gegenwärtig herrschenden Minusgraden bestätigen. Und in Mailand wundert man sich schon längst nicht mehr über Pelzmantel tragende Damen bei dreissig Grad im Schatten.
Jedes Jahr am 7. Dezember eröffnet die Mailänder Scala ihre Saison - dieser Tag ist traditionell ein "Pelzmantel-Tag". Selbst bei frühlingshaft-milder Witterung: An diesem Tag friert die Mailänderin grundsätzlich - und wenn sie friert, geht sie in die Oper. Vielleicht wäre die Scala sogar nie dieses singuläre, mit den Namen Verdi und Puccini, Callas und Toscanini verbundene Opernhaus geworden, würde sie nicht immer pünktlich zur pelzmantelkompatiblen Jahreszeit ihre Saison beginnen.
Dieses Jahr allerdings erstreckt sich der Festtag gleich über mehrere Wochen, ja über Monate. Die Stadt feiert das Ereignis der Wiedereröffnung des Hauses nach drei Jahren des Umbaus und der Restaurierung mit einem ganzen Reigen von Pelzmantel-Tagen. Trotz schwerer Kost (Operneinakter und Riesensymphonien von Mahler und Bruckner): stets ausverkauft; bei Kartenpreisen bis zu 600 Euro; die lombardische Pelzmanteldichte konstant eine der höchsten auf der ganzen Welt. Kein Theaterpublikum auf Erden scheint so schrill und skurril, so teuer und eitel gestylt - und wirkt allein dadurch wie ein Relikt aus fernen Zeiten. Hier sehen Männer noch wie Onassis aus; hier trifft man Frauen, die das Ableben des Schahs von Persien ganz offenbar nicht zur Kenntnis genommen haben. Die Foyers bieten ein Panoptikum, an das selbst Salzburg im Sommer nicht im mindesten heranreichte, vom kreuzbiederen Wallfahrtsort Bayreuth einmal ganz zu schweigen.
Teatro alla Scala, durante una rapprensentazione.

Die von Armani-, Dolce- und Prada-Tuch zusammengehaltenen Rauschgift-, Waffen- und Autohändler, ihre schwer behängten Gattinnen, dann natürlich die Promis, die Donnas und Donatellas: Sie alle geniessen die surrenden Kameras und klickenden Fotoapparate, die man ihnen beim Betreten der Scala entgegenhält. Ich werde fotografiert, also bin ich. (...)
Text: Pascal Morché in der FA-Sonntagszeitung vom 19.12.2004

Salieri: Szenenbild aus "Europa riconosciuta".

Kommentare

Kommentar hinzufügen
nocomments