Mittwoch, Mai 18, 2005, 18:53 - PRESSE
TEIL 1: Bern, Mai 2003 - sieben Jugendliche verprügeln nachts im Rausch und absolut grundlos einen Mann, der ihren Weg zufälligerweise kreuzt, und lassen ihn schwer verletzt liegen - der Vorfall löst wegen seiner beispiellosen Brutalität schweizweit grosses Entsetzen aus - das Opfer liegt lange im Koma und kann bis auf den heutigen Tag nicht im entferntesten daran denken, seine Berufstätigkeit wieder aufzunehmen.TEIL 2: Bern, Mai 2005 - gestern, kurz vor Beginn der gerichtlichen Beurteilung, wird bekannt, dass einer der Beteiligten mit einem Text über diese Tat den mit 1000 Franken dotierten Hauptpreis eines "Goldene Feder" genannten Schreibwettbewerbes gewinnt, welcher von der "Schweizerischen Vereinigung der Jugendpresse" verliehen wird.
TEIL 3: Stimmen dazu (aus der Berner Tageszeitung DER BUND, 18.05.2005):
Matthias Pflume, stv. Chefredaktor des BEOBACHTER, in welchem der Siegertext veröffentlicht wurde: Der Text schildere die Gewalt aus einer ungewöhnlichen Perspektive, jener des "brutalen Schlägers". Der Autor setze sich mit seiner Tat auseinander, beschönige nichts und vermeide Selbstmitleid. Er plappere nicht einfach Standardfloskeln nach, sondern kämpfe öffentlich darum, mit sich ins Reine zu kommen, was Mut erfordere. In der Jury habe es eine Diskussion, aber keine schwer wiegenden Bedenken gegeben. Die Mitglieder hätten ihr Vetorecht nicht wahrgenommen.
Philipp Nüesch, Generalsekretär der Schweiz. Vereinigung für Jugendpresse: Die Jury habe es sich nicht einfach gemacht. Die 'Goldene Feder' werde für authentische Texte vergeben, und dieser Text sei "furchtbar authentisch".
Originalzitat aus dem Siegertext: "Falls ich diesen Wettbewerb gewinnen sollte, möchte ich das Preisgeld dem Opfer spenden, dem ich so viel Leid zugefügt habe."
TEIL 4: Mir kommen gleich die Tränen.
Über diese fragwürdige und scheinbar grenzenlose Toleranz"kultur", welche selbst Geschmacklosigkeiten toleriert und diese obendrein noch als ganz plausibel zu verkaufen versucht, sie gar mit Auszeichnungen und Preisen dekoriert.
Die "Toleranz" im Mäntelchen der Arglosigkeit, der uneingeschränkten Duldung, die plötzlich zur blanken Provokation wird, ohne dass wahrscheinlich diese Provokation vorsätzlich oder bewusst beabsichtigt war.
TEIL 5: Der Text - dies eher nebenbei und mit Verlaub - ist überraschend kurz und erstaunlich banal; furchtbar banal, genaugenommen; durchaus in nächster Nähe des bestrittenen Standardfloskelgeplappers anzusiedeln.