Samstag, Juni 21, 2008, 07:41 - PRESSE
... entweder fasziniert oder angewidert. Ich las das Buch in einem Zug durch.Also würde ich, so dachte ich, dem scheuen Autor, gelänge es mir, ihn für ein Gespräch zu gewinnen, nichts vorlügen müssen. Als ich Delf Schmidt, dem Cheflektor des Berlin-Verlags, mein Anliegen vortrug, sagte er gleich: «Unmöglich!» Nun begann die Verführung. Ich schickte Littell mein Interview mit dem Nazi-Bildhauer Arno Breker und schrieb ihm, ich hätte auch schon mit Elias Canetti, den er schätzt, und Ernst Jünger, der in seinem Buch vorkommt, gesprochen. Immerhin wollte er mich nun kennenlernen.
Die Gelegenheit dazu ergab sich anlässlich einer Podiumsdiskussion in Berlin, die der Star geduldig wie ein Schüler, der gehorcht, absolvierte. «Ich bin ein guter Deutscher», sagte er mir tags darauf beim gemeinsamen Lunch in einem italienischen Restaurant, zu dem er nach durchzechter Nacht etwas verkatert erschien. Angereiste Journalisten hatte er sich, wie später zu lesen war, während des offiziösen Abendessens nach der Diskussion mit Ellbogenstössen vom Leib gehalten. Das Fernsehen und Fotografen waren nicht zugelassen.
Mir sass er nun gegenüber, dieser bleiche, vierzigjährige Jüngling mit Ohrring und fahlem Blick, dem man die Leidenschaft, die in ihm lodert, nicht ansieht. Wie schon abends zuvor trug er unter dem Sommeranzug ein T-Shirt mit dem berühmten Spruch aus Melvilles Erzählung «Bartleby»: «I would prefer not to.» Seine geradezu schamlose Offenheit überraschte mich. Sogar eine Tonbandaufzeichnung erlaubte er. Delf Schmidt, der, von gelegentlichen Lachkrämpfen geschüttelt, danebensass, rief in regelmässigen Abständen das Wort «absurd» in den Mittagshimmel.
Unsere Unterhaltung, die wir auf Englisch führten, in Littells erster Muttersprache, dauerte knapp zwei Stunden. Bevor er in das Taxi stieg, das ihn zum Flughafen brachte, rief mir der Schriftsteller noch zu, ich könne ihn zur Fortsetzung des Gesprächs in Barcelona, wo er wohnt, angeblich um dem Rummel um seine Person zu entgehen, gerne besuchen. Aber es war genug.
André Müllers Einführung zu seinem aktuellen [Weltwoche-Interview] unter dem Titel: "Ich dachte nicht an Leichen" - welches hier leider nur in einem Auszug wiedergegeben werden kann.
Wer das ganze Gespräch mitbekommen will, kaufe sich die Weltwoche Nr. 25/19.06.2008 oder gedulde sich, [bis André Müller seine Website ergänzt hat.]