Sonntag, Mai 16, 2010, 10:02 - PRESSE
Es war der Puritanismus meines Elternhauses, der mich zum Erotomanen gemacht hat. Seither bin ich ein Spezialist für die Wechselbeziehung zwischen Prüderie und erotischer Besessenheit. Erotik, wie ich sie schätze, gibt es nur im Zusammenspiel mit Tabus. Sex ist für mich total uninteressant. Ich mache es mir selber viel besser. Selbstbefriedigung ist ohnehin das Beste, was es gibt. Du wirst nicht krank und hast keine verrückten Frauen am Hals. Mein Gefühl ist, dass die Erotik durch die sexuelle Freizügigkeit mehr und mehr verschwindet. Wenn alles Sex ist, wird Sex unsexy. *
Die Frauenbewegung war eine Revolution, und Revolutionäre kennen nun mal keinen Humor. Dafür muss man Verständnis haben. Wenn ich heute meine erotischen Satiren signiere, stehen mehr Frauen als Männer an. Das eigentliche Unheil des Feminismus ist die Feminisierung der Männer. Ein Kind, das männliche Orientierung sucht, entdeckt verunsicherte Schwächlinge, die über die richtige Frisur nachdenken. Schalten Sie das Fernsehen ein: In neunzig Prozent aller Hollywood-Filme ist der Mann der Idiot und die Frau on top.
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Ich arbeite schnell. Jede Zeichnung ist wie ein Blitzkrieg. Wenn ich will, schaffe ich an einem Morgen zehn Radierungen. Das klingt vielleicht beneidenswert, aber meine Arbeit ist meine Krankheit. Das Glück kreativer Arbeit kenne ich nicht. Mich treibt meine Hoffnungslosigkeit. Sie ist für mich die achte Muse. Ich denke, das geht jedem Künstler so. Ohne den Nährboden der Hoffnungslosigkeit wären unsere Museen leer. Jeder halbwegs bedeutende Künstler wird am Ende seines Lebens sagen: Zum Glück bin ich nie glücklich gewesen.
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Glück ist eine Frage der Begabung. Ich habe kein Talent zum Lebensglück, weil ich diesen Christuskomplex habe. Wenn ich die Zeitung aufschlage, spüre ich sofort die Last des Kreuzes auf meinen Schultern. Was andere bloss stört, tut mir weh. Ich denke aber, Glück wird überschätzt. Ein Himmel ohne Wolken ist banal und entsetzlich langweilig, und eine glückliche Liebe interessiert nicht mal die, die sie haben. Glück und eine scharfe Beobachtungsgabe schliessen sich aus, weil ein genauer Blick nur mit grosser Kälte möglich ist. Für Nichtkünstler mag es paradox klingen, aber wenn es mir nicht gutgeht, ist mein Humor am besten.
Es gibt auch keinen Humor ohne Verzweiflung.
Ausschnitte aus Man muss Kinder traumatisieren - Sven Michaelsen im Interview mit Tomi Ungerer. Erschienen in der Weltwoche Ausgabe Nr. 19 vom 12. Mai 2010.