Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen. 
Samstag, Juni 3, 2006, 20:00 - PRESSE
Wim Wenders ist zwar Partei (er schrieb mit PH u.a. das Drehbuch zu „Der Himmel über Berlin“). Zudem ist Wim Wenders’ Heimatstadt Düsseldorf; sein besonderes Engagement in der Handke/Heine-Sache so immerhin nachvollziehbar.
Wim Wenders’ eindringliche Empfehlung, zu „Lesern“ zu werden und sich nicht von der allgemeinen Meinungsmache vereinnahmen zu lassen – das hingegen ist ein von der Sache unabhängiges, starkes Plädoyer. Und der Mann stellt Fragen - ich mag Menschen, die nicht immer und auf alles gleich jede Menge Antworten parat haben... (erschienen in der „Aussenansicht“, SZ Nr. 126, 02.Juni 2006; hier in Bruchstücken wiedergegeben):

(…) Peter Handke hat sich selber geäussert, hier in der SZ, ähnlich wie eine Woche zuvor in der Libération, unter dem bezeichnenden Titel "Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen." Wer seine eigene Stellungnahme liest – überhaupt ein jeder, der sich durch Lesen sein eigenes Bild macht und somit von Handke auch unter die „Leser“ gerechnet wird, wird es verwirrend finden (oder komisch, wenn es nicht so traurig wäre), wer da nun alles im Moment glaubt, seinen Senf dazugeben zu müssen, ohne die Vorgeschichte zu kennen.
Angefangen mit der „Angst des Tormanns beim Elfmeter“ über „Wunschloses Glück" oder „Die Abwesenheit“ bis hin zu „Bildverlust“ und „Gestern unterwegs“ kann es „dem Leser“ nicht entgangen sein – IST es ihm auch nicht entgangen –, dass hier ein grosser Dichter und auch Denker schreibt, ein Humanist auch, einer, der unsere Zeit kühn und auch kompromisslos neu gedacht hat, der unsere Sprache aufregend neu spricht, und der mit den Mitteln dieser Sprache die Welt (und nicht nur seine eigene) neu be-gründet. So einer ist kein „Faschist“ (wie neulich in Frankreich zu hören), auch kein „Linker“ und auch kein „Rechter“, so einer ist als Autor „er selbst“. Diese Ehre muss man sich erst mal verdienen. (Heinrich Heine war „so einer“.)
„So einer“ darf, muss, soll auch ein anderes Unrechtbewusstsein haben als unsere so schnell vergesslichen Politiker, so einer darf, soll, muss auch ein unbestechliches Gerechtigkeitsgefühl haben, so einer darf, muss, soll sich auch gegen landläufige Meinungen stellen, wie Handke das schon vor Beginn des Nato-Krieges gegen Belgrad getan hat. (…)
So einer soll und muss sich auch emotional verhalten dürfen. Und dass es Peter Handke bei der Sache der Serben um eine höchst persönliche, höchst gefühlte Angelegenheit geht, kann ihm im Ernst keiner übel nehmen. Oder doch? Weil es so einer wagt: äusserst direkt, äusserst menschlich zu sein in dieser so unpersönlichen und kühlen Welt der Politik? (Und wenn schon, rechtfertigt eine solche Ablehnung in keiner Weise die gegenwärtigen Äusserungen und Klassifizierungen, die ja durchaus bis zur Hetzkampagne reichen.) Dass er sich da auch einmal vertan hat in der Aussage, (jene unglückliche Gleichsetzung von Serben und Juden) das hat er schon vor Jahren schriftlich (und auch in deutschen Zeitungen abgedruckt) zugegeben. Das ist damals widerspruchslos zur Kenntnis genommen worden. Warum wird das jetzt wieder aufgewärmt, so, als habe er das nicht selbst zurückgenommen? (…)
Bitte lesen Sie, bevor Sie urteilen. (…) (Ja, selbst, wenn er sich mit der einen oder anderen Ansicht täuschen sollte. Ja, selbst wenn er sich mit dem Besuch der Beisetzung von Milosevic getäuscht haben sollte. Aber kann sich einer täuschen, der einfach nur „Zeuge“ sein will, der der Meinung ist, dieses ins Abseits geschobene Land brauche Zeugen?) (…)

"Zum Lesen."
In der "Süddeutschen Zeitung" vom 31.05.2006 meldet sich Peter Handke selbst zu Wort. Handke, dem in der Debatte um die Kriegsschuld auf dem Balkan eine pro-serbische Parteinahme vorgehalten wird, weigert sich, einen Unterschied zwischen serbischen und muslimischen Tätern im Bosnienkrieg zu machen, alle Beteiligten der Jugoslawien Kriege hätten Verbrechen begangen: "Lassen wir, was die Kriege in Jugoslawien angeht, alle Vergleiche und alle Parallelen sein. Bleiben wir bei den Tatsachen eines von einem unredlichen oder wenigstens unwissenden Europa angezettelten oder wenigstens koproduzierten Bürgerkriegs, die auf allen Seiten schrecklich sind. (...) Wahr ist: Es gab zwischen 1992 und 1995 auf dem Gebiet der jugoslawischen Republiken, vor allem in Bosnien, Gefangenenlager, und es wurde in ihnen gehungert, gefoltert und gemordet. Aber hören wir auf, diese Lager in unseren Köpfen mechanisch mit den Bosno-Serben zu verbinden: Es gab auch kroatische und muslimische Lager, und die dort und dort begangenen Verbrechen werden im Tribunal von Den Haag geahndet." Das serbische Massaker an Muslimen im Juli 1995 in Srebrenica bezeichnete er als "das schlimmste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, das in Europa nach dem Krieg begangen wurde". Srebrenica sei eine "abscheuliche Rache der serbischen Streitkräfte" gewesen. Zu seiner scharf kritisierten Teilnahme an der Beisetzung des ehemaligen jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic im März sagte Handke, er habe gegen eine Vorverurteilung und die Sprache der Medien angehen wollen. Loyalität zu Milosevic sei nicht das Motiv gewesen.

Frau Fetschers (völlig frag-lose, mehr höchst-persönlich-höchst-gefühlte-denn-sachliche-
was-ihr-im-Ernst-keiner-übel-nehmen-kann) Replik.

(Link via nja/Marian Wirth)

Am Ende ist fast nichts mehr zu verstehen - wie wahr.

Oder doch nicht? Hier, nachträglich und abschliessend - Elfriede Jelinek zum Thema. Lesen und dann reden, aber nicht hetzen.

Kommentare

Kommentar hinzufügen
nocomments