"Radikalität des Alters" ... 
Freitag, Oktober 27, 2006, 22:04 - PRESSE
... lautete das Tagungsthema der Deutschen Akademie. Zur Debatte stand, ob der selbstgewisse Anspruch darin nicht doch ein Fragezeichen verdient. (…)

(…) Auch Akademiepräsident Reichert (*1938) und der Philosoph Odo Marquard (*1928) zählten zu jenen, denen die These von der Radikalität des Alters trefflich mundete. Rücksichtslos, aggressiv, immun gegen ideologische Verführung, unbekümmert um die Meinungen anderer, auch schamlos und solipsistisch - so malten sie die reifen Jahrgänge jenseits der Pensionsgrenze. Odo Marquard wollte das Alter gar durch eine besondere Befähigung zum theoretischen Denken intellektuell geadelt sehen. Junge Leute hegten über die Zukunft Illusionen, dies mache ihren Blick bestechlich. Den Alten hingegen bleibe wenig Zukunft, und folglich gingen ihnen auch die Illusionen aus. (…)

(…) Tiefschwarz wurde die Szenerie erst mit dem Vortrag Hans Wollschlägers, der im Alter buchstäblich alles zum Teufel gehen sieht: das Lieben und Glauben, das Hoffen auf Besserung des Weltenlaufs und endlich gar die Kulturgeschichte. Dass nicht einmal die grossen Kunstwerke gegen den Zerfall gefeit sind, «ihre Zerbrechlichkeit inmitten der Pöbelwelt», bekümmert ihn erklärtermassen mehr als der eigene Alterungsprozess.

NZZ Nr. 246, 23. Oktober 2006.
Ausschnitte aus: "Das altersmilde Rosarot der Radikalität" von Joachim Güntner.

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