Sonntag, Februar 8, 2015, 10:43 - PRESSE
Beitrag von sb_admin
... das Küstenstädtchen Netanya nördlich von Tel Aviv sei die französische Hauptstadt Israels. In der Fussgängerzone nahe der Strandpromenade scheint Französisch die meistgesprochene Sprache zu sein, es gibt französische Illustrierte zu kaufen sowie knusprige Baguettes, Eclairs, Petits Fours und andere Köstlichkeiten in der echt pariserischen Patisserie. Beitrag von sb_admin
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«Das Problem ist, dass viele, die mitten im Arbeitsleben stehen, nicht so einfach von einer Sekunde auf die andere aus Frankreich weggehen können. Also beginnen sie damit, dass ihre Frauen und Kinder in Israel Wohnsitz nehmen, während sie selbst einstweilen pendeln.»
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Er selbst kam schon vor zehn Jahren nach Israel, weil er sich in Frankreich nicht mehr wohl fühlte : «Doch heute herrscht dort nicht nur Angst, sondern eine echte Gefahr», sagt der heute 67-Jährige. «Wenn man mit einer Kippa geht, riskiert man, angegriffen zu werden.» Das Argument, dass ja auch Israel kein ungefährliches Pflaster sei, ist für ihn nicht relevant: «Hier sind wir zu Hause, wir sind alle solidarisch, und die Armee ist stark. Alle hier sind wachsam und vorbereitet. Wenn man irgendwo eine abgestellte Tasche sieht, ruft man sofort die Polizei. Hier fühle ich mich besser beschützt.»
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«Ich sehe hier jetzt Leute, von denen ich nie gedacht hätte, dass sie je nach Israel auswandern würden. Es ist keine Modeerscheinung – die Auswanderung ist jetzt eine Notwendigkeit für die Juden Frankreichs geworden!»
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«Wir waren immer sehr glücklich in Frankreich, aber dann kam eine grosse Veränderung, und man konnte als religiöser Jude nicht mehr auf der Strasse gehen, ohne Angst vor Angriffen zu haben. Meine Frau hat sich jedes Mal geängstigt, wenn unser Kleiner nur im Viertel etwas kaufen ging, es war eine unerträgliche Situation, wir konnten nicht mehr so leben.»
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Im vergangenen Jahr haben sich 7000 Franzosen in Israel niedergelassen, doppelt so viele wie im Jahr davor. Für 2015 rechnet man mit einem neuen Rekord von über 15 000 Einwanderern aus Frankreich. Die offizielle Adresse für die Ankommenden ist das Einwanderungsministerium. Israel war immer schon ein Immigrationsland und ist daher routiniert darin, eine grosse Zahl von Neuankömmlingen aufzunehmen. Dennoch hat man laut Elad Sivan, dem Sprecher des Ministeriums, in der für die Franzosen zuständigen Abteilung das Personal aufgestockt, um mit den vielen Anfragen und Ansuchen Schritt halten zu können: «Wir sind bereit, jeden Juden, der nach Israel kommen will, aufzunehmen. Eine Million, wie Ende der 1980er Jahre bei der Einwanderung aus der Sowjetunion, wird es diesmal nicht, aber Frankreich war im letzten Jahr das Land, aus dem die meisten Einwanderer gekommen sind. Und der Staat muss sich darauf einstellen, einer neuen Welle von Zehntausenden den Weg zu ebnen.» Jene, die ihre Alia machen – das ist der hebräische Ausdruck für die Einwanderung –, bekommen hier finanzielle Hilfe, günstige Sprachkurse, Stipendien, Einstiegsermässigungen bei Krankenkassen, Ratschläge für Arbeits- und Wohnungssuche sowie bei Geschäftsgründungen und auch Unterstützung beim Einschiffen der Container mit ihrer Fahrhabe.
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«Alle sprechen davon, Frankreich zu verlassen, egal, ob sie Zionisten sind oder nicht, religiös oder säkular, sie fühlen sich dort nicht mehr sicher, und sie wissen, dass sie hier mit offenen Armen empfangen werden.» Die junge Französin ist stolz darauf, in ihrer Funktion ihren Landsleuten bei der Integration im neuen Land unter die Arme greifen zu dürfen: «Das Ministerium tut viel für diese Leute, damit sie in den ersten Jahren in Israel, bis sie sich eingewöhnt haben, gute Bedingungen vorfinden. Egal, ob Studenten oder Pensionierte, wir versuchen alle, die kommen, je nach Alter und Situation bestens zu unterstützen.» Und auch sie fühlt sich in Israel trotz allen Krisen und Kriegen besser beschützt als in Frankreich und fasst mit ihrem Statement das zusammen, was alle zu denken scheinen: «Ja, es gibt auch hier Attentate, Terroristen und Angst, aber hier haben wir eine Armee, die uns schützt. Und wir wissen, wir sind hier zu Hause.»
Aus dem Feuilleton der NZZ Nr. 27 vom 03.02.2015, in Auszügen ungekürzt und unverändert wiedergegeben.
Meldungen aus dem Zustand der Welt - das Beängstigende dabei: man schreibt das Jahr 2015.
Zusammen mit anderen Zustandsmeldungen, von denen man annehmen durfte, dass sie sich nie mehr wiederholen würden.
Und sie wiederholen sich doch.
Man versteht jeden, der die nächstbeste hohe Klippe besteigt, sich die mitgeführte Flasche Höchstprozentiges innerhalb von 5 Minuten genehmigt und sich dann von ebendieser Klippe in die Tiefe stürzt - nein, mit einer solchen Welt möchte man am liebsten nichts, aber auch wirklich gar nichts zu tun haben.
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