... and now to something completely different ... 
Freitag, November 15, 2024, 20:08 - AUFGESCHNAPPT
Beitrag von sb_admin
Ein Bär und ein Tiger
wollten gern eruieren:
Wer schafft es am längsten,
sich nicht zu rasieren.
Das klare Ergebnis,
nach Jahren ohne Sieger:
Ein bärTIGER Bär und ein BÄRtiger Tiger.

Lennart Schilgen
November2024Vollmond 
Freitag, November 15, 2024, 16:25 - VOLLMOND
Beitrag von sb_admin

Das Ideal 
Donnerstag, November 7, 2024, 14:40 - GELESENES
Beitrag von sb_admin
Ja, das möchste:
Eine Villa im Grünen mit großer Terrasse,
vorn die Ostsee, hinten die Friedrichstraße;
mit schöner Aussicht, ländlich-mondän,
vom Badezimmer ist die Zugspitze zu sehn
aber abends zum Kino hast dus nicht weit.
Das Ganze schlicht, voller Bescheidenheit:

Neun Zimmer, – nein, doch lieber zehn!
Ein Dachgarten, wo die Eichen drauf stehn,
Radio, Zentralheizung, Vakuum,
eine Dienerschaft, gut gezogen und stumm,
eine süße Frau voller Rasse und Verve
(und eine fürs Wochenend, zur Reserve)
eine Bibliothek und drumherum
Einsamkeit und Hummelgesumm.

Im Stall: Zwei Ponies, vier Vollbluthengste,
acht Autos, Motorrad - alles lenkste
natürlich selber – das wär ja gelacht!
Und zwischendurch gehst du auf Hochwildjagd.

Ja, und das hab ich ganz vergessen:
Prima Küche – erstes Essen
alte Weine aus schönem Pokal
und egalweg bleibst du dünn wie ein Aal.
Und Geld. Und an Schmuck eine richtige Portion.
Und noch ne Million und noch ne Million.
Und Reisen. Und fröhliche Lebensbuntheit.
Und famose Kinder. Und ewige Gesundheit.

Ja, das möchste!

Aber, wie das so ist hienieden:
manchmal scheints so, als sei es beschieden
nur pö-a-pö, das irdische Glück.
Immer fehlt dir irgendein Stück.
Hast du Geld, dann hast du nicht Käten; (Anm.: Frauen)
hast du die Frau, dann fehln dir Moneten –
hast du die Geisha, dann stört dich der Fächer:
bald fehlt uns der Wein, bald fehlt uns der Becher.
Etwas ist immer.

Tröste dich
Jedes Glück hat einen kleinen Stich.
Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.
Daß einer alles hat –
das ist selten.

Theobald Tiger (Pseudonym von Kurt Tucholsky) - Berliner Illustrirte Zeitung, 31.07.1927, Nr. 31, S. 1256.
Oktober2024Vollmond 
Donnerstag, Oktober 17, 2024, 09:13 - VOLLMOND
Beitrag von sb_admin


The New Yorker, Cover May 1950 - Price: 20 cents!!

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September2024Vollmond 
Dienstag, September 17, 2024, 19:27 - VOLLMOND
Beitrag von sb_admin


Trailer:


Als ich in Washington ... 
Mittwoch, August 28, 2024, 10:12 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
... einige Stunden in der Haupthalle wartend verbringen musste, bis ich Anschluss hätte auf den Flieger nach Saint Louis/Missouri, sah ich mich erstmals (wieder) den USA gegenüber, einem ganzen Panoptikum, sogar Leute mit Texashüten waren da, es war dieses freie unbekümmerte Benehmen, eine Art Schamlosigkeit oder Unempfindlichkeit gegenüber Benehmens- und Empfindlichkeitsargumenten, eine Freiheit, die wiederum ein Konformismus oder Ausdruck eines solchen sein könnte, jedenfalls nicht Individualismus, sie frönen einem Dogma des Praktischen, des Freizügigen, nicht einem Ästhetischen, alles ist erlaubt, weil anderswo Verbindlichkeit herrscht. Die Maid, die servierte, hatte ein Kleid, das ein Bein freigab, es war nicht sexy, sondern Verkaufsargument, absurd, es gehörte zu einer Überlegung auf dem Niveau des Kundendienstes. Die Amerikanerinnen, denke und fürchte ich, haben bei aller Aufgemachtheit nichts Verführerisches, eher eine Art Sportsgeist.


Aus: Paul Nizon "Die Erstausgaben der Gefühle", Journal 1961 - 1972 S. 245/246 - Verlag Suhrkamp, erste Auflage 2002
... jedenfalls stelle ich fest ... 
Dienstag, August 27, 2024, 14:10 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
... dass ich mich neuerdings mit dem Problem des Alterns herumschlage. Wenn Sohn Valentin mir (halb mutwillig, halb in echter Besorgnis) eine Altmännerhaut attestiert oder eine leibliche Verwahrlosung, wobei er teils ganz gewiss ehrlich entsetzt ist, sein Vaterbild modifizieren zu müssen, dann bedeutet dies im Grunde ein erstes Abschreiben des Vaters, er nimmt den Akt des Ablösens voraus. Er erkennt mich als einen älter Gewordenen (älter als er mich in Erinnerung hatte). Es ist dies alles auch ein bisschen die Anmeldung von Führungsansprüchen der heranwachsenden Generation (wobei man selber in den Schatten der Lebensszene gedrängt wird. Ich bin verunsichert.

Auch auf der Strasse. Es kommt wohl daher, dass ich mich spontan mit der Jugend (dem jugendlichen Helden) messe und dabei feststelle, dass ich da nicht mehr Schritt halten kann. Ich bin ja älter, feister, eben mittelältlich im Vergleich zu ihnen. Ich gehöre in den Kleidergeschäften zu einer "gehobenen" Konsumentenschicht. In solchen Geschäften fühle ich mich geradezu an den Rand gedrängt, weil die feilgebotene Ware nicht für Staturen meiner Generation vorgesehen ist. Ich müsste also mein Bild von mir selbst revidieren. Denn bis vor kurzem noch sah ich mich offenbar als den "jugendlichen" Eroberer an, der - nicht etabliert - herumstreunt, auf Mädchen aus ist, auf Eroberung, Welteroberung ganz allgemein. Aber jetzt steht eine Eroberer-Generation auf dem Plan, die mich durch ihr auffälliges Jüngersein distanziert, wenn nicht isoliert. Es fällt mir auf, dass auf der Strasse die Jungen dominieren, die Älteren nimmt man merkwürdigerweise nicht mehr recht wahr; auf dem MARKT des Lebens spielen sie keine Rolle. Nicht auf der lebenshungrigen Szene des Jahrmarkts der Eitelkeiten. Noch bis vor kurzem habe ich mich indessen ganz selbstverständlich so benommen, als gehöre mir dieser Markt - so wie früher. Ich weiss plötzlich auch nicht mehr recht, was mir gehört und zukommt und was nicht.

(...) Sinnieren über Umschichtungen, über Beschlussfassungen. Über das heikle Problem, "wie stelle ich die Weichen für das, was jetzt bei mir ZUKUNFT heisst? Wie lege ich eine neue Ausgangslage, die mir zukommt?"


Aus: Paul Nizon "Die Erstausgaben der Gefühle", Journal 1961 - 1972 S. 153-155 - Verlag Suhrkamp, erste Auflage 2002
So beginne ich ... 
Dienstag, August 27, 2024, 09:48 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
... mit einigen Überlegungen zum Ko-Existenzproblem in meinem Viertel, wir sind ja letzthin wieder stark von diesem Problem absorbiert, sind reizbar in Bezug auf die Schwarzen, am liebsten würden wir aus unserer Ecke ganz verschwinden, so verdammt sensibilisiert sind wir in letzter Zeit.

Ich frage mich zum x-ten Mal, warum man diese Aggression entwickelt gegen (schwarze) Leute, die doch an sich überhaupt nicht aggressiv sind, bloss dass sie einen mit ihrem Anderssein einkreisen und einkesseln.

Man sieht sie im sperrangelweit offenen Fenster in ihren Nationaltrachten, diesen farbenfrohen Tüchern, hocken, als hockten sie um ein Feuerchen, sie haben gewiss kaum Möbel, bloss den Telephon- und Fernsehapparat, nun, warum auch nicht, aber nun quatschen sie mit ihren gutturalen Stimmen, diesen überschwappenden, auch kreischenden Stimmen, überlaut und endlos. Man hat den Eindruck, es werden unaufhörlich die simpelsten Fragestellungen immerzu wiederholt oder variiert. Möglicherweise folgt es einer Etikette. Dann waschen die Frauen tagein tagaus ihre meterlangen Tücher, die sie zum Trocknen in den Hof hängen, die Tücher bedecken die unteren Fenster und tropfen und tropfen.

Natürlich denkt man längst in Rassendiskriminierung, allein das reine Charakterisieren, wie ich es jetzt mache, ist Rassismus, was mir klar ist und nicht eben zu meiner Zufriedenheit beiträgt.


Aus: Paul Nizon, "Die Innenseite des Mantels", Journal 1980 - 1989, Seiten 111/112, Verlag Suhrkamp, , erste Auflage 1995
Ich habe, glaube ich ... 
Montag, August 26, 2024, 08:32 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
... meine Bücher alle nach musikalischen Prinzipien verfasst, überhaupt habe ich beim Schreiben wohl immer musikalische Strukturen und Ausdrucksweisen im Ohr. Ich arbeite in aller Unschuld, das heisst ohne gross daran zu denken, mit Tonarten, Tempi, Tempiwechseln, mit Auftakten, Ober- und Untertönen, mit Stimmen, Haupt- und Nebenstimmen, Stimmen, die sich verflechten, mit Begleitmusik und Orchestrierung, mit Phänomenen wie laut und leise - piano bis fortissimo - und mit Pausen. Ich komponiere meine Texte nach dem Muster klassischer Kompositionen in drei oder vier Sätzen wie Sonaten oder Orchesterstücke. Doch gibt es auch Passagen, die den klanglichen und rhythmischen Bildern des Jazz gehorchen, und ausserdem gibt es Anspielungen auf volkstümliche Weisen und warum nicht Gassenhauer. Ich arbeite nicht nur mit Musik, sondern auch mit Geräuschen, Geräuscheffekten; ich bilde mir ein, das kann bis zum Kreischen und bis zur Kakophonie gehen.

(...)

Überhaupt kann ich mich von der musikalischen Strömung des Sprachflusses dahintragen lassen. Ich schreibe eine Ohrensprache, ich instrumentiere beim Schreiben, meine Sprache ist mein Instrument, ich lege die Finger auf die Tastatur meiner Schreibmaschine wie der Pianist die Finger auf die Tasten des Pianos legt, ich schliesse die Augen und beginne zu spielen, das heisst, ich schlage einen Akkord an, ich stelle mich auf einen Takt ein, ich beginne mich einzuspielen, und auf einmal schlüpft ein bestimmtes musikalisches Motiv oder Thema aus diesem Improvisieren aus und wird zur Melodie und nimmt mich mit.

Aus: Paul Nizon "Die Zettel des Kuriers", Journal 1990 - 1999, Seiten 20 und 21, Verlag Suhrkamp, erste Auflage 2008
Zürich war mir zu eng geworden wie ein ... 
Freitag, August 23, 2024, 18:38 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
...wie ein ausgewachsenes Kleid. Es begann mich zu bedrücken.
In der Schweiz fühlte ich mich unterernährt, auf seelische Diät gesetzt. Da war keine Lebenszufuhr mehr.

Ich muss mir überlegen, was es mit dieser Selbstausweisung aus der Schweiz auf sich hatte, auf sich hat. Es war ein Gefühl wie: das Leben verpassen.

Da war diese für mich aufreizend selbstgenügsame Mentalität. Wir Schweizer waren noch bis an die Schwelle des Ersten Weltkriegs ein eher armes Land und Volk gewesen, ohne Bodenschätze, ohne genügend ländliche Reserven, wenn man die unfruchtbaren Bergmassive einbezieht. Wir hatten diese Devise der immerwährenden Neutralität entwickelt, was sich auszahlte. Aber Neutralität, das ist auch Desinteresse, institutionalisierte Meinungslosigkeit nach aussen, um was zu mästen? Den Eigennutz. Die Schweiz wurde ein Bankiersland, unter anderem. Die Mentalität wurde immer mehr: erzmaterialistisch und ideen-, idealismusfeindlich. Das Haushalten, Sparen, Putzen, Werkeln ... als Lebensinhalt.

Man kam so durch zwei Weltkriege und ging als Kriegsgewinnler daraus hervor. Man lebte rückwärtsbezogen und weltblind. Man monumentalisierte Freiheitsmythen und partizipierte schamlos an der Ausbeutung aller armen Nationen, auch am Verbrechen (die Fluchtgelder der Mafia, der Nazis, der südamerikanischen Bluttyrannen etc.). Und dabei mimte man nach aussen immer diesen Biedersinn und Puritanismus, man kultivierte den Bigottismus des armen Mannes (als Tugend den Geiz), man verbot sich den Genuss des Lebens, das Zeigen des Reichtums, man hatte immer die Kummerfalten im Gesicht und auf der Stirn, man meckerte, krittelte höhnisch, selbstgerecht, scheinheilig, missgünstig an allen Nationen herum, man hielt sich heraus und dachte, die Verschonung habe aufgrund eines Besserseins, Klügerseins, Schlauerseins stattgefunden, man idealisierte insgeheim diese Tugenden. Man kam ohne Welt aus. Und man verzichtete auf alle Experimente, Entwürfe, Wagnisse, man lebte - nach aussen - im Gewand des schaffigen Biedermanns weiter und mästete die Banken und Konten und Sparstrümpfe - und lachte sich ins Fäustchen. Man lebte in einer Art luftleerem Raum, in einer Art Vakuums-Sonderfall-Mässigkeit und liess das Leben nicht an einen heran. Man profitierte von der Welt, die man ausschloss. Und die Mentalität und die Lebensgeister begannen diese aschgraue Freudlosigkeit, Hämischkeit anzunehmen, den Stagnationscharakter. Es gab keinen Anlass zur Bewegung in einem Land und Volk, das nach diesem Lebensrezept funktioniert. Keine Streiks, keinen Klassenkampf, einen ewigen Arbeitsfrieden mit gemässigtem Wohlstand. Überfluss, Grosszügigkeit, Verschwendung, aller Glanz, alle Schönheit waren des Teufels. Nur das nicht. Man lebte immer sicherer, stabiler, versicherter, eiserner und all das auf Kosten des Lebens. Man lebte gar nicht, Leben war Risiko, kein Risiko gefälligst.

Das ergab als Lebensstimmung und Gesamtatmosphäre diese Sterilität und Lebensunähnlichkeit, vor der mir grauste. Die versteinerte Graue-Socken-Stimmung. Nichts wegwerfen, nichts verändern. Nur ja keine Neuschöpfung, grosszügige Planung, kein Projekt, keine Zukunft. Nur immer Haushalten und Ausbessern und Pützeln.
Man lebte solchermassen scheinheilig, missgünstig, verdriesslich, und all das wurde als nationale Tugend erklärt. Nur keine Freude, kein Elan, keine Veränderung, kein Animus. Immer diese Tarnkappe der Verdriesslichkeit - als Lebenstaktik. Und der Weltteufel soll uns ausgetrieben sein und es ein für allemal bleiben. Die Schweiz wurde der arme geizige reiche Mann Europas, der sorgenvoll, kummervoll und kümmerlich in seinen grauen Kleidern und Strümpfen, versagungsvoll, salbungsvoll und selbstsüchtig, insgeheim besserwisserisch in seinen alten Klamotten umgeht, freudlos-neutral muss die Stimmung sein; und dabei stopft er den Sparstrumpf. Er neidet den Grossfüssen und Springinsfelden und Leichtfüssen draussen, er neidet den Lebenden, Riskierenden und alles Verlierenden oder auch Gewinnenden ihre Lebendigkeit. Er geht in der besagten Tarnung um, um nicht aufzufallen, ja kein Gegenstand der Aufmerksamkeit, gar des Neides zu werden, er gibt sich seufzertraurig und gedeiht und gedeiht, aber er darf nicht in den Genuss des Erschafften gelangen, da darf nie etwas angerührt und ja nichts veräussert werden, er lässt das Geld liegen und legt es an, legt es an und beiseite und lebt das Leben des bescheidenen Mannes; und der verheimlichte Reichtum oder Bankenwert, Kontenwert, der nie verflüssigt, nie in Lebensgenuss umgesetzt wird: Diese Doktrin kehrt sich gegen den Inhaber, er wird immer gehässiger, missgünstiger, er hat zwar recht, hat aber nicht eben viel vom Leben, also sollen all die anderen verdammt sein, die nicht diese schweizerische Tugend vertreten. Der Schweizer wird vor lauter Frustration böse und aggressiv, die Tram fährt nicht, um Leute zu befördern, sondern sie ruckt und stockt und behindert alle statt zu fahren; und der Mann im Führerstand übertreibt diese Fortbewegung, er bremst dauernd, weil er im Rückspiegel voller Missvergnügen auf die Fahrgäste schaut und hofft, dass sie sich die Köpfe anstossen, eigentlich ist das der Sinn des Fahrens. Frustration.

Aus: Paul Nizon "Das Drehbuch der Liebe", Journal 1973 - 1979, Seiten 235 - 238, Verlag Suhrkamp, Erste Auflage 2004

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