Dienstag, August 27, 2024, 14:10 - BÜCHER
Beitrag von sb_admin
... dass ich mich neuerdings mit dem Problem des Alterns herumschlage. Wenn Sohn Valentin mir (halb mutwillig, halb in echter Besorgnis) eine Altmännerhaut attestiert oder eine leibliche Verwahrlosung, wobei er teils ganz gewiss ehrlich entsetzt ist, sein Vaterbild modifizieren zu müssen, dann bedeutet dies im Grunde ein erstes Abschreiben des Vaters, er nimmt den Akt des Ablösens voraus. Er erkennt mich als einen älter Gewordenen (älter als er mich in Erinnerung hatte). Es ist dies alles auch ein bisschen die Anmeldung von Führungsansprüchen der heranwachsenden Generation (wobei man selber in den Schatten der Lebensszene gedrängt wird. Ich bin verunsichert. Beitrag von sb_admin
Auch auf der Strasse. Es kommt wohl daher, dass ich mich spontan mit der Jugend (dem jugendlichen Helden) messe und dabei feststelle, dass ich da nicht mehr Schritt halten kann. Ich bin ja älter, feister, eben mittelältlich im Vergleich zu ihnen. Ich gehöre in den Kleidergeschäften zu einer "gehobenen" Konsumentenschicht. In solchen Geschäften fühle ich mich geradezu an den Rand gedrängt, weil die feilgebotene Ware nicht für Staturen meiner Generation vorgesehen ist. Ich müsste also mein Bild von mir selbst revidieren. Denn bis vor kurzem noch sah ich mich offenbar als den "jugendlichen" Eroberer an, der - nicht etabliert - herumstreunt, auf Mädchen aus ist, auf Eroberung, Welteroberung ganz allgemein. Aber jetzt steht eine Eroberer-Generation auf dem Plan, die mich durch ihr auffälliges Jüngersein distanziert, wenn nicht isoliert. Es fällt mir auf, dass auf der Strasse die Jungen dominieren, die Älteren nimmt man merkwürdigerweise nicht mehr recht wahr; auf dem MARKT des Lebens spielen sie keine Rolle. Nicht auf der lebenshungrigen Szene des Jahrmarkts der Eitelkeiten. Noch bis vor kurzem habe ich mich indessen ganz selbstverständlich so benommen, als gehöre mir dieser Markt - so wie früher. Ich weiss plötzlich auch nicht mehr recht, was mir gehört und zukommt und was nicht.
(...) Sinnieren über Umschichtungen, über Beschlussfassungen. Über das heikle Problem, "wie stelle ich die Weichen für das, was jetzt bei mir ZUKUNFT heisst? Wie lege ich eine neue Ausgangslage, die mir zukommt?"
Aus: Paul Nizon "Die Erstausgaben der Gefühle", Journal 1961 - 1972 S. 153-155 - Verlag Suhrkamp, erste Auflage 2002
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