Mittwoch, Oktober 29, 2014, 19:00 - KINO & FILM & TV
Beitrag von sb_admin
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Der Film setzt am Ende einer Ära ein. Noch zwei Tage hat der 90-jährige Antiquar Jaime Romagosa Zeit, um seinen Laden am Hirschengraben zu räumen. Die Berner Filmemacherin Andrea Leila Kühni begleitet ihn in "Der Antiquar am Hirschengraben" dabei.
Seit 1970 führte der gebürtige Katalane das Buchantiquariat "Iberia", 2011 war endgültig Schluss. "Das Verkleinern des Arsenals an Büchern ist letztlich auch ein Abschiednehmen vom Leben. Wenn dann einmal alle seine Bücher weg sind, ist auch sein Leben zu Ende", umschreibt die Regisseurin die Faszination für ihren Protagonisten.
Der halbstündige, berührende Film, der für den Berner Filmpreis nominiert ist, verlässt das Ladenlokal kein einziges Mal und kommt ganz ohne Musik oder Off-Kommentar aus. Unaufdringlich verfolgt die Kamera Romagosa bei den Gängen durch sein Antiquariat. Bücher werden umgeordnet, kriegen noch einmal "Gnadenfrist" oder landen schweren Herzens doch im Altpapier. Die Beziehung, die er zu jedem einzelnen Buch aufgebaut hat, die Sorgfalt, mit der er sie behandelt, wird in jeder Einstellung sichtbar.
Am Ende ist das Lokal leer und seine Wohnung einen Stock höher um einige Bücher reicher. "Ich bin selber ein guter Kunde von mir" scherzt er einmal, er verkaufe seine Bücher nicht einfach jedem. "Dass alle seine Bücher vor seinem Tod noch ein gutes Plätzchen finden, scheint eines seiner Hauptanliegen zu sein" sagt Kühni. Zu schaffen macht ihm jedoch auch der Gedanke, dass er nicht mehr alles lesen könne, was er möchte. Es bleibt ihm schlicht nicht mehr genügend Lebenszeit dafür. Für sein hohes Alter hat er trotzdem eine poetische Erklärung: "Man sagt, Buchantiquare werden so alt, weil der Staub der Bücher sie konserviert."
Ihr Film thematisiere auch die Umwälzungen unserer Zeit, sagt Kühni: "Buchantiquariate verschwinden weltweit, die Lesegewohnheiten verändern sich. Romagosa ist ein Überbleibsel einer vergangenen Welt". Dass der alte Mann sämtliche Korrespondenz auf der Schreibmaschine schreibt, versteht sich von selbst.
Fast wäre sein Laden doch noch einer breiten Masse ein Begriff geworden: Im Roman "Nachtzug nach Lissabon" von Pascal Mercier entdeckt der Protagonist in einem Antiquariat am Hirschengraben ein Buch, das sein Leben verändert. Es ist augenfällig, welcher Laden dafür Pate gestanden hat. Als die Filmcrew dann vor zwei Jahren für die Verfilmung des Bestsellerromans bei Romagosa anklopfte, gab dieser angeblich zur Antwort: "Sie sind ein Jahr zu spät. Das Antiquariat ist geschlossen."
Text: Sarah Sartorius (Berner Kulturagenda, 30.10. - 05.11.2014)
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