Dienstag, Juni 29, 2004, 00:08 -
BÜCHER
...Wegwoodplatte, Zitronenschnitze, etwas Grün, keine Salzkartoffeln, was für eine Bauernbanauserie, pur wie der Puro, rein wie die Bahia-Exporte, ist man allseits bereit, das Kunstwerk zu würdigen?
Alle Achtung, Frau Irlande, einen weissen Graves von der Qualität des Pavillon blanc de Château Margaux, Jahrgang 1974, hätte ich in Ihrem Tonnengewölbe nun doch nicht erwartet. Da Hombre in diesem Zustand, man hört ihn hinter den vergitterten Fenstern schnarchen, das Servieren nicht zugemutet werden kann, bin ich ganz in meinem Element; je eine Forelle wird gereicht, die verbleibenden werden auf keinen Fall in den Sud zurückgelegt, welch eine Todsünde, sondern mit einer aufgewärmten Serviette zugedeckt und bei Temperatur gehalten. Wer bringt den Toast aus, sicher nicht ich, nie der Koch, nie der Zeremonienmeister, sicher nicht die Gastgeberin, also Bert May, der es sich nicht nehmen lässt, dieses Festmahl im Stechlinschen Sinn hochleben zu lassen, indem er an das Tagesgespräch im dritten Kapitel erinnert, zwar, so der Erbe von Trunz, ist dort vom Karpfen die Rede, Hauptmann Czako wirft die Frage auf, wie sich das Prachtexemplar auf seinem Teller wohl im Stechlinsee verhalten habe, wenn die Trichterbildung anhob und der rote Hahn aufstieg, als Mitrevolutionär oder Feigling, der sich wie ein Bourgeois in seinem Moorgrund verkrieche, um am andern Morgen zu fragen, schiessen sie noch, der Forelle dagegen sei nur wohl in Gebirgsbächen, und da möchte er sich eine Modulation von Fontane zu Goethe gestatten, "Mahomets Gesang", dritte Strophe, wo vom ewig Fliessenden gesagt werde: "Durch die Gipfelgänge/Jagt er bunten Kieseln nach", dieser jägerischen Mentalität, wenn das Bild gestattet sei, verdanke die Forelle ihr Temperament, sie sei das Ursymbol des Quicklebendigen, weshalb man sie bleu und nicht anders geniessen müsse... (aus: Hermann Burger, "Brenner", Suhrkamp)