Montag, August 2, 2004, 08:51 - BÜCHER
INTERESSE. Der stärkste aller Affekte ist mitnichten die Liebe, wie der anschwellende Sirenengesang der Illustriertenweisheitsapostel uns belemmerten Schafen weismacht, sondern das Interesse. Während die Liebe dann, wenn sie sich das Begehrte einverleibt hat, in Erschlaffung zurückfällt und sich, wenn sie nicht in Ekel erstickt, allenfalls in Zuneigung zum Begehrten und Bekommenen transsubstantiiert, bleibt das Interesse, worauf immer es sich richtet, gerade deswegen wach und unvermindert, weil es nicht auf Einverleibung sinnt, sondern sein Kapital aus der Distanz zu seinem Objekt schlägt. Nur wenn sich die Liebe mit dem Interesse paart, hat sie Aussicht auf Beständigkeit - das Interesse aber ist das Grössere von beidem. Es ist die Mutter der Achtung. (...) ACHTUNG. Jene aus Interesse geborene Haltung Dingen und Menschen gegenüber, die sie in ihrer Eigenmächtigkeit und Eigenständigkeit bestehen lässt, ohne sie im "Wunder der Anerkennung" oder gar in den Metastasen der "Liebe" ins Eigene zu transubstantiieren. Die Achtung ist kalt und unparteiisch, deswegen der einzige Habitus, der für eine rationale Ethik ernstlich in Betracht käme. Die Achtung ist langmütig und freundlich, die Achtung eifert nicht, die Achtung treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht, sie stellt sich nicht ungebärdig, sie sucht nicht das Ihre. Die Achtung ist der menschlichen Tugenden göttlichste.
(aus: A.U. Sommer: Die Kunst, selber zu denken - ein philosophischer Dictionnaire; Eichborn)
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