Donnerstag, März 30, 2006, 21:35 -
BÜCHER
Zwei alte Menschen gehen über die Strasse, er geht sehr schwer, das heisst, er rudert mit den Armen, als er versucht, sich an der Luft festzuhalten, und dabei zieht er einmal den rechten, einmal den linken Fuss nach. So ist sie ihm voraus. Ihr Kopf steckt unter einer dicken Wollmütze, die ihr Gesicht rund wie einen Vollmond erscheinen lässt. Aber dieser Mond ist nicht gnädig. Die Lippen der Frau haben etwas Zusammengebissenes – also einen Zug, der vom vielen Zähnezusammenbeissen geblieben ist. Der Mann wirkt immer mehr wie ein Automat, an dem etwas nicht stimmt. Die Frau versucht, eine Unmöglichkeit zu realisieren, nämlich einerseits mit ihrem Mann zu gehen und andererseits den Anschein zu wahren, dass sie mit diesem Mann hinter sich nichts zu tun hat. Plötzlich ruft er ihr nach: „Ich hätte doch den Stock nehmen sollen!“ Darauf folgt ein Schweigen, keine Reaktion von ihr, alles geht seinen Gang. So muss er ihr noch einmal nachrufen: „Aber du hast gesagt, es ginge schon.“ Jetzt hält es sie nicht mehr, sie dreht sich um und zischt durch die Zähne: „Daran bin also auch ich schuld.“ Er antwortet ihr mit einem Blick: keine Hoffnung, auch keine aufs Auseinandergehen.
Franz Schuh:
Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche. Zsolnay, Wien. ISBN-10: 3-552-05370-0