Freitag, Januar 30, 2009, 09:12 - ISLAND / ICELAND
Beitrag von sb_admin
Warum hat keiner etwas geahnt? Und wie soll es nun weitergehen? Vielleicht könnte Vigdis Finnbogadóttir, die langjährige Staatspräsidentin, diese Fragen beantworten. Doch sie zögert. "Die ganze Sache ist eigentlich zu traurig, um mit ausländischen Journalisten darüber zu sprechen", schreibt sie in einer E-Mail und bittet um Geduld. Man könne ja später noch einmal anrufen.Beitrag von sb_admin
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Ein neuer Versuch, mit der früheren Staatspräsidentin zu reden. Am Telefon fragt sie, welchen Eindruck der Reporter inzwischen von den Isländern gewonnen habe. Eine Identitätskrise? Nein, berichtigt sie ihn. "Die Isländer wissen genau, wer sie sind!" Vigdis, wie sie von allen genannt wird, erklärt sich nun doch zu einem Gespräch bereit, allerdings unter einer Bedingung: Das Treffen soll erst am Ende der Recherche über die Ereignisse seit dem 6. Oktober stattfinden. "Dann kann ich Sie korrigieren, wenn Sie etwas falsch verstanden haben."
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Die letzte Station der Recherche. Sie empfängt in ihrem unauffälligen Haus in Reykjavík. Auf dem Fensterbrett des Wohnzimmers ein Papageientaucher-Paar aus Holz, auf dem Tisch ein Buch mit dem Titel: "Traumland – Selbsthilferatgeber für eine verängstigte Nation". In schwarzem Hosenanzug und weißem Hemd, sorgfältig frisiert und geschminkt, sieht sie immer noch wie eine Staatsfrau aus, weit jünger, als sie ist: 78. "Mein Volk ist sehr ärgerlich", sagt sie und erklärt, der Ärger rühre von einer Unsicherheit her, die man in ihrem Land nicht gewöhnt sei. Vulkanausbrüche kennt man hier, natürliche Katastrophen, aber nicht menschengemachte.
Vigdis erzählt von früher, die alte Geschichte von Unschuld und Verführung, von der "klassenlosen Gesellschaft" in den siebziger Jahren, als sie noch das städtische Theater in Reykjavík leitete, "wir haben die Texte selbst fotokopiert, weil kein Geld für die Druckerei da war". Und heute? Vigdis glaubt, die Boulevardmedien hätten das Volk mit Reportagen über das Leben der Reichen verdorben. Die Unternehmer und Banker, "gut aussehend und prächtig gekleidet", seien idealisiert worden, "man hat ihnen vertraut". Und nun haben diese vermeintlichen Helden den Ruf Islands im Ausland ruiniert. Dass Großbritannien das Auslandsvermögen isländischer Banken unter Berufung auf Antiterrorgesetze einfrieren ließ, hat das Land tief verletzt und offensichtlich auch die ehemalige Präsidentin.
"Wenn ich inszenieren müsste, wie sich die Isländer fühlen, würde ich das so machen", sagt sie und krümmt sich zusammen, die Arme über der Brust verschränkt. "Und noch vor einem Jahr waren die Isländer so" – sie breitet triumphierend die Arme aus und strahlt –, "und eigentlich liegt ihnen das viel mehr." Dann ist das Gespräch über Aufstieg und Fall des Volkes im Norden beendet. "Schreiben Sie nichts Schlechtes über die Isländer", sagt Vigdis zum Abschied.
Konstantin Richter: Aufstieg und Fall einer Nation - der vollständige Text im [ZEIT Magazin Nr. 6 vom 29.01.2009.]
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